Bundeskartellamt stärkt Fahrausweisvertrieb

Dennoch bleibt noch Einiges zu tun: Regulierung stärken, Fernverkehrstarif unternehmensübergreifend verankern

 

Berlin (28. Juni 2023)

Das Bundeskartellamt hat in seiner heutigen Entscheidung zum Fahrausweisvertrieb für Eisenbahnen[1] wichtige Schritte nach vorn getan. Beispielsweise hat es Grundsätze festgelegt, nach denen Vertriebsprovisionen berechnet werden müssen, um ein nachhaltiges Wirtschaften zu ermöglichen. Echtzeitdaten müssen umfassend geteilt werden, Rabatt- und Werbeverbote bis auf wenige Ausnahmen aufgehoben.

mofair-Geschäftsführer Matthias Stoffregen: „Die Kartellamtsentscheidung stellt klar, dass die DB bisher ihre Stellung missbraucht hat – zu Lasten anderer Verkehrsunternehmen und unabhängiger Vertriebsportale, vor allem aber zu Lasten der Fahrgäste. Denn schnell und bequem an den richtigen Fahrausweis zu kommen, ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für mehr Fahrgäste auf der Schiene. Mit der Entscheidung zu den Provisionen können andere Anbieter ihre Portale und Apps kundenorientiert weiterentwickeln. Jetzt kommt es darauf an, dass der europäische und der deutsche Gesetzgeber die verbleibenden Fragen zum Datenaustausch, zur Regulierung großer Portale und zum Bahn-Fernverkehrstarif zügig und konsequent regeln.“

Mittlerweile seit dem Herbst 2019 lief das Verfahren des Bundeskartellamts gegen die Deutsche Bahn und ihre Tochtergesellschaften wegen des Verdachts des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung. Im April 2022 hatten die Wettbewerbshüter bereits festgestellt, dass es diesen Missbrauch gibt und die DB deswegen abgemahnt.[2]

Die Wettbewerbshüter monierten, dass die DB ihren Vertriebspartnern außerhalb des Konzerns – seien es Eisenbahnverkehrsunternehmen oder spezialisierte Vertriebsportale –

  • den Zugang zu Echtzeitdaten (Verspätungen, Gleiswechsel etc.) verwehrt,
  • nicht das gesamte Ticketangebot zum Vertrieb zur Verfügung stellt,
  • bestimmte Werbe- und Rabattverbote auferlegt und dass
  • die gewährten Vertriebsprovisionen nicht auskömmlich sind.

Offen war zunächst geblieben, wie diesem Missstand abgeholfen werden könne. Während des vergangenen Jahres hat die DB zwei sogenannte Zusagenangebote gemacht, die allerdings von den Marktteilnehmern als unzureichend abgelehnt wurden.

Zwischenzeitlich hat die DB den Zugang zu Echtzeitdaten teilweise ermöglicht[3] – dies allerdings nur, weil die EU-Fahrgastrechteverordnung 2021/782/EU am 7. Juni 2023 geltendes Recht wurde und die DB nicht mehr anders konnte. Aber auch hier nutzt sie jede Möglichkeit, es den Partnern so schwer wie möglich zu machen, z. B. indem sie den Datenzugang mit hohen Gebühren belegt.

Das Bundeskartellamt hat nun mit seiner Entscheidung die andernorts in der Regulierungsökonomie üblichen „long range average incremental costs“ (LRAIC) zur Grundlage künftiger Provisionsregelungen gemacht und schafft damit Planungssicherheit für alle Beteiligten. Die Werbe- und Rabattverbote müssen aufgehoben werden, die Pflicht zum Datenaustausch wird gegenüber der EU-Fahrgastrechteverordnung ausgeweitet. Das sind wesentliche Fortschritte.

Allerdings bleibt noch ein Weg zu gehen, bis der Vertrieb wirklich fair wird. Zwei wesentliche mofair-Forderungen bleiben bestehen:

Erstens müssen etablierte, marktbeherrschende Portale wie bahn.de und der DB Navigator, die ihre Stellung vor allem aufgrund der bisherigen Marktabschottungspolitik der DB erreichen konnten, durch die Bundesnetzagentur reguliert werden. Beispielsweise muss sichergestellt werden, dass diese nun auch die Produkte von Wettbewerbsbahnen außerhalb des Nahverkehrs verkaufen, wenn diese dies wünschen.

Und zweitens muss nach dem Regionaltarif der Bahn (ehemaliger „C-Preis“) nun auch der Fernverkehrstarif („A- und B-Preis“) auf eine unternehmensübergreifende Institution übertragen werden. Denn ein wesentlicher Teil der Marktverzerrung rührt daher, dass der Fernverkehrstarif ein Haustarif der DB ist, den andere Unternehmen nur anwenden dürfen, über dessen Vertrieb und Weiterentwicklung sie aber kein Mitspracherecht haben. Gerade vor dem Hintergrund des Deutschlandtakts kann es dabei nicht bleiben.

[1] https://www.bundeskartellamt.de/SharedDocs/Publikation/DE/Pressemitteilungen/2023/28_06_2023_DB_Mobilitaet.html?nn=3591568, Pressemeldung des Bundeskartellamts vom 28. Juni 2023.

[2] https://www.bundeskartellamt.de/SharedDocs/Publikation/DE/Pressemitteilungen/2022/20_04_2022_Bahn.html?nn=3591568., Pressemeldung des Bundeskartellamts vom 20. April 2022.

[3] https://www.deutschebahn.com/de/presse/pressestart_zentrales_uebersicht/Fuer-mehr-Informationen-rund-um-die-Bahnreise-Deutsche-Bahn-teilt-Prognosedaten-10625568#, Pressemeldung der DB AG vom 12. Mai 2023.

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