DB InFrago ist kein Grund zu feiern – Da hilft auch kein Kai Diekmann

Weichenstellungen für qualitativ hochwertige Schieneninfrastruktur stehen weiter aus

Berlin (22. Januar 2024):

Die Deutsche Bahn AG zelebriert heute in der beeindruckenden Kulisse des Futuriums in der Nähe des Berliner Hauptbahnhofs den Start der neuen, vermeintlich „gemeinwohlorientierten“ Infrastrukturgesellschaft DB InFrago AG. Zumindest hinter vorgehaltener Hand aber herrscht Einigkeit in der Branche, dass die neue Gesellschaft keine Verbesserungen bringen wird. Unterschiedliche Meinungen gibt es, ob die Bundesregierung in dieser Legislaturperiode noch die Kraft aufbringen wird, weitere Reformschritte zu gehen.

mofair-Präsident Becker-Rethmann: „Das neue InFrago-Firmenschild ist kein Grund zum Feiern. Zu behaupten, der InFrago-Start markiere ‚einen großen Meilenstein der Bahngeschichte‘,[1] ist geradezu abwegig. Bisher haben Denkverbote zur finanziellen und personellen Entflechtung innerhalb des DB-Konzerns sowie zur Steuerung und Finanzierung der Schieneninfrastruktur dazu geführt, dass die Probleme in den kommenden Monaten und Jahren eher noch größer zu werden drohen. Darüber kann keine Hochglanzkommunikation hinwegtäuschen.“

„Wie geplant“ zum 1. Januar 2024 ist die DB InFrago AG als Fusion aus der bisherigen DB Netz AG (Gleisnetz) und der DB Station und Service AG (Bahnhöfe) an den Start gegangen. Dass dieser Neustart seitens der DB AG und des Bundesverkehrsministeriums meist mit Fotografien neuer Firmenschilder illustriert wird, spricht Bände: Sehr viel mehr gibt es auch nicht zu zeigen.

Ein gutes halbes Jahr (Dezember 2021 bis Juni 2022) dauerte es, bis Bundesverkehrsminister Volker Wissing die im Koalitionsvertrag vereinbarte „gemeinwohlorientierte Schieneninfrastrukturgesellschaft“ zur „Chefsache“ machte. Zu diesem Zeitpunkt aber hatte die DB AG schon das Narrativ entwickelt, dem nach ihrem Willen die weitere Debatte folgen sollte: „Generalsanierungen“, verbunden mit Vollsperrungen der am stärksten belasteten Teile des Netzes sollen es richten. Ziel sind so genannte „Hochleistungskorridore“. Einfache Bahnhöfe soll es nicht mehr geben, sondern „Zukunftsbahnhöfe“.[2]

Die Fähigkeit der DB AG mithilfe von Beratern und Agenturen, seit dem Jahreswechsel durch den ehemaligen BILD-Chefredakteur Kai Diekmann, bunte Folien und catchy Geschichten zu erzählen, war schon immer groß. Der Sinn ist klar: Wesentliche Fragen sollen nicht gestellt, bestimmte, dringend notwendige Reformschritte sollen nicht gegangen werden.

 

Keine Klärung, wie es zu dem mangelhaften Infrastrukturzustand überhaupt kommen konnte

Nachdem über Jahre hinweg standhaft der Eindruck erweckt wurde, man sei in punkto Qualität der Infrastruktur auf einem guten Weg – und der Infrastrukturzustand sei für weniger als 10 % der Verspätungen ursächlich[3] –, legte der DB-Vorstand ab Sommer 2022 eine Kehrtwende um 180 Grad hin. Seitdem betonen die DB-Granden mantraartig, das Gleisnetz sei „zu alt, zu kaputt und zu voll“ und die Ursache für 80 % der Verspätungen.

Auch wenn viel dafür spricht, dass die zweite Variante eher stimmt: Es fehlt weiterhin eine echte, ehrliche Analyse, was genau die Ursache für die massiven Qualitätsprobleme ist und wie es passieren konnte, dass die Probleme über so lange Zeit nicht offen angesprochen wurden. Dies würde auch die Frage nach der Verantwortung des DB-Management und der Verkehrs- und Beteiligungspolitik auf Bundesebene aufwerfen.

 

Keine weitere finanzielle Entflechtung – Bruch des Koalitionsvertrags

Ebenso unterblieben ist eine Untersuchung der Bedeutung des integrierten Konzerns aus Monopol- und wettbewerblichen Bereichen in der Vergangenheit. So ist es zu erklären, dass der Wortlaut des Koalitionsvertrags: „Gewinne aus dem Betrieb der Infrastruktur verbleiben zukünftig in der neuen Infrastruktureinheit.“[4] unberücksichtigt blieb und die Ergebnisabführungs- und Beherrschungsverträge zwischen der InFrago und der DB AG (Holding) bestehen bleiben. Damit werden die Gewinne doch abgeführt und verbleiben eben nicht in der InFrago. Die Konzernfinanzierung mit Cashpooling, intransparenten internen Verrechnungen und Kreditvergaben blieb völlig unangetastet und bietet Diskriminierungspotenziale wie bisher.

 

Keine personelle Entflechtung

So bleibt auch die „Beherrschung“ der InFrago durch die DB AG – und eben nicht den Bund selbst – erhalten. Bei der Schieneninfrastruktur herrscht der Konzern und nicht das Gemeinwohl. Auf der Ebene der DB AG (Holding) bleibt das Infrastrukturressort erhalten, obwohl es doch einen vollständigen und handlungsfähigen Vorstand der InFrago selbst gibt. Das ist aber nicht nur eine überflüssige und teure Doppelstruktur, sondern sichert gerade die fortwährende Beherrschung des Konzerns über die Infrastruktur ab. Aus der Sicht des Gemeinwohls ist sie also schädlich. Es stellt sich die Frage, ob den Konzern die Sorge umtreibt, die InFrago könnte zu gemeinwohlorientiert und im Sinne des gesamten Sektors agieren.

 

Ungenügende Steuerungsinstrumente

Um die Folgen der Denkverbote zu Strukturfragen zu kompensieren, möchte das BMDV nun einen „Infraplan“ als neues Planungsinstrument und „Arbeitsprogramm“ für die InFrago etablieren und verweist dabei auf das Vorbild Österreich. Allerdings hat der österreichische Plan Gesetzeskraft und begründet darauf aufbauend auch eine Finanzierungsverpflichtung des Staates für die Infrastruktur. Weder das eine noch das andere wird der Infraplan in Deutschland leisten. Damit bliebe er eine Wunschliste wie der Bundesverkehrswegeplan, dessen Projekte nach Kassenlage umgesetzt werden – oder eben auch nicht.

Anstelle einer Einbindung der Netznutzer („Zugangsberechtigten“) in die echten Aufsichtsgremien der InFrago ist derzeit ein „Sektorbeirat“ im Gespräch. Aber alles Beschwören eines „verbindlichen Dialogs“ mit der InFrago vermag nicht darüber hinwegtäuschen, dass das neue Gremium ein genauso zahnloser Tiger zu werden droht, wie es seine beiden Vorgänger, der Netzbeirat und der Stationsbeirat, waren.

 

Keine Debatte über das Trassenpreissystem

Vermeintlich um die Komplexität der Reform nicht noch weiter zu erhöhen, klammerte das BMDV eine Änderung der überkomplexen und dysfunktionalen Bepreisung der Infrastrukturnutzung „zunächst“ aus, obwohl auch diese zumindest als Prüfauftrag im Koalitionsvertrag enthalten ist.

Das rächt sich jetzt bitter: Quasi als erste Amtshandlung hat die InFrago Anfang Januar bei der Bundesnetzagentur eine Anpassung der Trassenpreise um bis zu 19,5 %(!) von einem Jahr aufs andere angemeldet, und das – entsprechend der derzeitigen verqueren Rechtslage zur Trassenpreissystematik – formal korrekt. Völlig unberücksichtigt bleibt dabei die miserable Infrastrukturqualität mit den schlechtesten Pünktlichkeitswerten, die je gemessen wurden. Eine Reform des gesamten Systems ist überfällig: Eine Umstellung auf eine Grenzkosten, anstelle der Vollkostenbetrachtung, eine konsequente Anreizsetzung zu mehr Qualität und Kundenorientierung, und eine weitgehende Abkehr vom Gewinnstreben.[5]

 

Keine Debatte zur Finanzarchitektur – süßes Gift EKE als Antwort auf alle Fragen

Die vom BMDV eingesetzte Beschleunigungskommission Schiene hatte einhellig die künftige Finanzierung der Schieneninfrastruktur aus zwei Fonds (Aus- und Neubau sowie Erhalt) gefordert. Dadurch sollte die dringend notwendige Langfristbetrachtung über die jährlichen Haushaltsberatungen und vierjährige Legislaturperioden hinweg erreicht und so Planungssicherheit geschaffen werden.

Spätestens seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum zweiten Nachtragshaushalt 2021 und der Übertragung von 60 Milliarden Euro an Kreditermächtigungen an den Klima- und Transformationsfonds wird so getan, als habe das Verfassungsgericht Sondervermögen an sich für verfassungswidrig erklärt – was nicht stimmt.

Stattdessen scheint das Mittel der Wahl, um der Schieneninfrastruktur mehr Mittel zukommen zu lassen und gleichzeitig die Schuldenbremse einzuhalten, immer mehr Eigenkapitalerhöhungen an die DB zu geben. Damit gibt der Bund aber nicht nur seine Steuerungsmöglichkeiten weit gehend aus der Hand, er verschärft auch mögliche Wettbewerbsverzerrungen und treibt mittelfristig die Trassenpreise noch weiter in die Höhe. Es besteht die Gefahr, dass zusätzliche Mittel, die die Schiene als Verkehrsträger doch eigentlich stärken sollen, eher das Gegenteil erreichen.[6]

 

[1] Zitat aus der Einladung zur InFrago-Veranstaltung mit Verkehrsminister Volker Wissing am 22. Januar 2024 im Berliner Futurium.

[2] Dass diese „Generalsanierungen“ bei weiten kein Selbstläufer sind, zeigen die letzten Tage: Der Präsident des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie kritisiert die Vorgehensweise als unrealistisch (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12. Januar 2024), DB-intern herrscht derweil Ernüchterung über den möglichen Effekt der Generalsanierung auf die verheerenden Pünktlichkeitswerte (Der SPIEGEL, 20. Januar 2024). Die Vollsperrung zwischen Hamburg und Berlin 2025 wurde kurz vor Weihnachten von fünf auf neun Monate verlängert, bis ins Jahr 2026 hinein.

[3] Der Infrastrukturzustands- und Entwicklungsbericht, der gemäß Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung jährlich erstellt und vom Eisenbahn-Bundesamt geprüft und veröffentlicht, behauptet das auch immer noch.

[4] Koalitionsvertrag, S. 50.

[5] https://mofair.de/pressemitteilungen/#presse/pressemitteilungen/infrago-qualitaet-im-keller-preise-durch-die-decke/.

[6] https://mofair.de/pressemitteilungen/#presse/pressemitteilungen/schiene-im-haushalt-2024-immer-neue-db-eigenkapitalerhoehungen-sind-keine-antwort/.

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