Quersubventionierung darf es auch im Personenverkehr nicht geben
Berlin (4. April 2025):
In den letzten Tagen veröffentlichte die DB AG ihren integrierten Bericht für das Jahr 2024. Kurz darauf erschien der der Volltext der EU-Kommissionsentscheidung im Verfahren betreffend DB Cargo wegen unerlaubter staatlicher Beihilfe. Beide Dokumente, parallel gelesen, haben es in sich: DB Fernverkehr erhielt für das Jahr 2024 einen Verlustausgleich von über 400 Mio. Euro – kaum weniger als DB Cargo.
mofair-Präsident Martin Becker-Rethmann:
„Die EU-Kommission hat der DB Cargo einen umfassenden Restrukturierungsplan und ein Wachstumsverbot auferlegt. Der Beherrschungs- und Ergebnisabführungsvertrag musste gekündigt werden. Nur wenn das Unternehmen bis Ende 2026 nachhaltig profitabel wird, darf es bestehen bleiben. Es steht die Vermutung im Raum, dass ein allein wirtschaftlich nicht überlebensfähiges Verkehrsunternehmen des DB-Konzerns über lange Jahre mit Einnahmen vor allem aus der Infrastruktur quersubventioniert worden ist.
Der Eigentümer Bundesrepublik Deutschland sollte bei anderen DB-Töchtern sehr genau hinsehen, damit ein weiteres Verfahren dieser Art, etwa gegen DB Fernverkehr, gar nicht erst nötig wird. Transparenz über die Leistungsfähigkeit der Transporttöchter erhält er nur bei einer vollständigen Entflechtung des regulierten Monopolbereichs.“
Nach längeren Vorermittlungen eröffnete die EU-Kommission 2022 ein formelles Verfahren wegen des Verdachts unerlaubter Beihilfe für DB Cargo. Nach langen Verhandlungen mit dem Bund[1] – offiziell verzeichnet sind mindestens 20 Gesprächstermine! – verkündete die Kommission im November 2024 ihre Entscheidung als Pressemeldung. Deren Text konnte auf eilige Leser wie ein „Freispruch auf Bewährung“ wirken, denn er begann „Kommission genehmigt staatliche Beihilfe Deutschlands in Höhe von 1,9 Mrd. EUR zugunsten von DB Cargo“.
Der Volltext wurde erst vor wenigen Tagen veröffentlicht. Allein schon die Verfahrensdauer, die Zahl der Verhandlungstermine und das nochmalige Vierteljahr, in dem über Anzahl und Ausmaß der vorzunehmenden Schwärzungen von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen der DB Cargo gerungen wurde, verdeutlichen den grundlegenden Charakter des Verfahrens. Hier wurde nicht nur über reine Rechtsfragen debattiert, sondern ein eminent politisches Thema ausgehandelt.
Das spiegelt der Inhalt der Entscheidung wider. Denn trotz oder gerade wegen ihres hohen Detailgrades wird deutlich, dass der Bund nichts unversucht gelassen hat, um aus seiner und aus Sicht der DB AG „Schlimmeres“ zu verhindern.
Bewertung der vier möglichen Beihilfemaßnahmen
- Verlustübernahme durch die DB AG
Seit den 2000er Jahren besteht ein unbedingter Beherrschungs- und Ergebnisabführungsvertrag (BEAV) zwischen der DB AG und der DB Cargo AG[2]. In fast allen dieser Jahre erreichte DB Cargo kein positives Ergebnis. Im Extremfall des Jahres 2022 betrug die Verlustübernahme durch den Konzern 858 Mio. Euro. Kein privater Investor[3] hätte in ein solches Unternehmen weiter Geld gegeben, sondern sich zügig zurückgezogen oder auf massive Änderungen gedrungen.
Die EU-Kommission entschied im Verfahren, die Zeit bis 2021 nicht näher zu betrachten. Sie addierte jedoch die Verlustübernahmen der Jahre 2022-24 auf und kam so auf die Beihilfesumme von 1,9 Milliarden Euro. Begründung: Die Bundesrepublik Deutschland als Eigentümer hätte spätestens Ende 2021 der automatischen Verlängerung des BEAV widersprechen müssen. Da er dies nicht tat, muss ihm diese Maßnahme auch zugerechnet werden.
Die EU-Kommission definierte diese nun jedoch als „Umstrukturierungsbeihilfe“ und konnte sie so unter Auflagen (siehe unten) genehmigen. Eine gewisse Willkürlichkeit in der Argumentation ist dabei nicht zu leugnen.
- Konzerninterne Leistungsverrechnungen
Die Wettbewerbshüter entschieden hier, dass Verrechnungen im Konzern grundsätzlich üblich seien und vor allem dem Bund nicht zuzurechnen seien.
Inhaltlich gehen sie jedoch nicht in die Tiefe. Beispielsweise überprüften sie nicht, ob DB Cargo (Wettbewerbsunternehmen) und DB InFrago (regulierter Monopolbereich) für vergleichbare Leistungen der Holding oder der Dienstleistungsschwestern im Konzern auch gleiche Preise bezahlen. Dies nicht zu tun, dürfte dem Willen geschuldet sein, gegenüber Deutschland kein zu großes Fass aufzumachen.
- Günstigere Finanzierungskonditionen im Konzern
Auch in dieser Frage sagt die EU-Kommission, dass gegenseitige Kreditgewährung in Konzernen übliche Praxis sei, insofern nicht zu beanstanden und vor allem nicht dem Staat zuzurechnen. Sie erwähnt dabei nicht einmal (!) das vom IGES-Institut im Auftrag der Bundesnetzagentur erstellte Gutachten zu dieser Thematik[4]. Dieses wies nach, dass die gegenüber der DB Cargo konzernintern gewährten Zinsen bei Krediten und aus dem Cashpooling nicht marktüblich (=zu niedrig) waren; bei DB Fernverkehr galt dieses zumindest für die Zinsen des Cashpoolings.
- Gestellung von BeamtInnen aus dem Bundeseisenbahnvermögen (BEV)
Wohl am wenigsten umstritten dürfte diese Maßnahme gewesen sein. Denn es konnte belegt werden, dass die vom Bundeseisenbahnvermögen an die DB Cargo verliehenen Beamtinnen und Beamten marktüblich vergütet wurden („als-ob“) und vor allem; dass es derlei Ausleihen auch an andere Eisenbahnverkehrsunternehmen gibt.
Nachträgliche Genehmigung der Beihilfen nur unter Auflagen
Den Kniff, die bereits erfolgten Verlustübernahmen in Höhe von 1,9 Milliarden Euro für DB Cargo doch zu genehmigen, knüpfte die EU-KOM jedoch an anspruchsvolle Bedingungen:
- Kündigung des Beherrschungs- und Ergebnisabführungsvertrags (zu Ende 2024 erfolgt)
- Erreichung „nachhaltiger Profitabilität“ des Unternehmens bis Ende 2026
- Erbringung eines „Eigenbetrags“ durch die Begebung von Anleihen, Aufnahme von weiteren Krediten und Veräußerungserlöse
Darüber hinaus wird die DB Cargo verpflichtet, die durch die Beihilfe objektiv entstandene Wettbewerbsverzerrung wieder auszugleichen, und zwar durch:
- eine Begrenzung ihres Produktionsvolumens („Wachstumsverbot“) auf maximal den Wert des Jahres 2023
- Teilweise Vergabe von Traktionsvolumen an Subunternehmen
- Verbot von Unternehmens- oder Anteilskäufen bis Ende 2026
- Verkäufe von Assets (Fahrzeuge, Unternehmensanteile etc.)
Diese Beihilfe darf es nur einmal geben. Sämtliche Vorgaben werden von der EU-Kommission überwacht. Gelingt die Restrukturierung nicht oder verstößt DB Cargo gegen die Verpflichtungen, wird das Unternehmen in dieser Form nicht über Ende 2026 hinaus bestehen.
Bedeutung auch für andere Konzerngesellschaften
Die vier von der EU-Kommission untersuchten Maßnahmen wurden aber keineswegs nur gegenüber der DB Cargo praktiziert. Vor allem haben alle größeren DB-Gesellschaften einen Beherrschungs- und Ergebnisabführungsvertrag mit der DB AG. Dieser sorgt für die Herstellung einer steuerlichen Einheit (im Inland) und dafür, dass etwaige Verluste oder Überschüsse ohne weitere Beschlüsse auf der Ebene der Holding miteinander verrechnet werden können. Die Beherrschung hat ferner zur Folge, dass die Vorstände oder Geschäftsführungen der Tochtergesellschaften keinerlei Letztentscheidungsbefugnis haben, sondern jederzeit durch die Konzernleitung angewiesen werden können, etwas zu tun oder zu lassen.
Diese Vorgehensweise ist aus wettbewerblicher Sicht grundsätzlich problematisch, wenn die Muttergesellschaft ein Staatsunternehmen ist, dessen Solvenz staatlich garantiert ist. Vollends inakzeptabel wird es, wenn ein im Wettbewerb stehendes Tochterunternehmen auf Dauer gewaltige Verluste anhäuft und dieses wegen des automatischen Verlustausgleichs keine Konsequenzen hat. DB Cargo war und hier ein extremer Fall.
Der Fall DB Fernverkehr
Aber ein Blick in den aktuellen integrierten Bericht der DB AG für 2024 zeigt für DB Fernverkehr ebenfalls Bemerkenswertes: Ausgewiesen wird ein (um was genau, wird nicht gesagt) „bereinigtes“; negatives EBIT in Höhe 96 Millionen Euro.[5] Von der DB AG aber mussten ganze 427 Millionen Euro Verlust (2023: 224 Mio. Euro) übernommen werden.[6]
Die Differenz von über 300 Millionen Euro wird nicht erläutert. Zwar hat DB Fernverkehr in der Mehrheit der vergangenen Jahre, anders als DB Cargo, Gewinne ausweisen können. Derzeit und für die kommenden Jahre stehen die Zeichen nicht gut:
- Umsätze gehen zurück
- Infrastruktur ist in einem schlechten Zustand
- Trassenpreise steigen massiv
- Kreditlasten wegen der Flottenverjüngung bleiben hoch
- Beschaffung des ICE 5 musste wegen galoppierender Kosten abgebrochen werden
- DB Schenker steht nicht mehr zum Verlustausgleich zur Verfügung
Für die DB Fernverkehr könnte eine ähnliche Rosskur wie für DB Cargo notwendig werden.
Umso wichtiger ist es, genauer hinzuschauen, wo im Konzern Geld verdient wird und wo es versickert. Ausreichende Transparenz bringt nur die vollständige Entflechtung von Monopol- und Wettbewerbsbereichen.
[1] Da es sich um ein Vertragsverletzungsverfahren handelt, ist der Ansprechpartner der EU-Kommission nicht das konkrete Unternehmen DB Cargo AG, sondern der Mitgliedstaat Deutschland, in dessen Verantwortungsbereich die Beihilfe stattgefunden hat.
[2] Der Name der DB Cargo hat sich mehrfach geändert, und zeitweilig gab es zwischen Cargo und der Holding auch Zwischenebenen. Am Prinzip ändert dies aber nichts.
[3] Sogenannter PIT: „Private Investor Test“.
[4] Die Erkenntnisse mündeten in der BNetzA-Entscheidung (BK10-21-0357_U), die den DB Konzern verpflichtet, die rechtswidrige Praxis abzustellen.
[5] Integrierter Bericht der DB AG für das Geschäftsjahr 2024, S. 143.
[6] Ebenda, S. 181.