Trassenpreissystem läuft aus dem Ruder – mofair fordert umfassende Reform
Berlin (5. Januar 2024):
Statt Gemeinwohlorientierung gibt es mit der „DB InfraGO AG“ zunächst Gebührenerhöhung. Die zum 1. Januar an den Start gegangene, vermeintlich gemeinwohlorientierte Gesellschaft plant als erste Amtshandlung, die Trassenpreise um volle 6 % für das Fahrplanjahr 2025 erhöhen. Der eigenwirtschaftliche Fernverkehr müsste von einem Jahr aufs andere Steigerungen von 19,5 % hinnehmen. Mitte Januar 2024 steht die Verhandlung bei der Bundesnetzagentur an; eine Entscheidung der Regulierungsbehörde muss bis Ende März erfolgen.
mofair-Präsident Martin Becker-Rethmann: „Erneut rächt sich der Schweinsgalopp auf dem Weg zur InfraGO. Zwei Gesellschaften wurden fusioniert, sonst hat sich nichts geändert. Steuerung der Gesellschaft, Sicherstellung von Qualität, Kundenorientierung und fairem Wettbewerb auf der Schiene – nichts davon ist bisher geklärt. Die InfraGO fordert nun trotz der offensichtlichen massiven Qualitätsprobleme deutlich höhere Gebühren – und scheint absurderweise das bestehende Regulierungsrecht auf ihrer Seite zu haben. Die Gesellschaftsvertreter des Bundes und die Verkehrspolitik sind gefragt, die Trassenpreisbildung endlich vom Kopf auf die Füße zu stellen: Orientierung an Grenzkosten und eine Anreizregulierung, die ihren Namen verdient, sind das Gebot der Stunde.“
Massive Preissteigerungen drohen
Das alljährliche Verfahren zur Genehmigung der Trassenpreise (BK10-23-0400_E) läuft bereits seit Herbst 2023. Angesichts der Fusion der bisherigen DB Netz AG und der DB Station und Service AG zur neuen DB InfraGO AG war klar, dass der ursprüngliche Antrag für das Trassenpreissystem (TPS) 2025 angepasst werden musste. Vor zwei Tagen hat dies die DB Netz AG gegenüber der zuständigen Beschlusskammer der Bundesnetzagentur getan.
Dabei deutet sich an, dass besonders der eigenwirtschaftliche Schienenpersonenfernverkehr (SPFV) massive Steigerungen von 2024 auf 2025 in Höhe von 19,5 % erwarten müsste. Bezogen auf die Legislaturperiode drohen damit die Trassenpreise im SPFV um 33 % zu steigen.
Wirtschaftlich kalkulierende Unternehmen müssen entweder mit einer deutlichen Steigerung der Ticketpreise oder mit einer Ausdünnung des Angebots reagieren. Betroffen wären vor allem solche Linien, auf denen die Nachfrage relativ schwächer ist. Dabei handelt es sich gerade um die Linien, bei denen der politische Druck groß ist, den Fernverkehr „zurück in die Fläche“ zu bringen. Eine solche Entwicklung verträgt sich überhaupt nicht mit den Klimaschutzzielen der Bundesregierung.
Gründe für die Teuerung
Interessanterweise sieht die DB InfraGO selbst, dass die Preissteigerungen dem EU-rechtlich geforderten Markttragfähigkeitserfordernis nicht genügen. Dennoch sieht sie sich regulierungsrechtlich zu diesem Schritt gezwungen, wobei sich mehrere negative Effekte zeitgleich überlagern.
Allgemeine Preissteigerung und Druck des Finanzministeriums
Zum ersten gibt die DB Netz AG wenig überraschend an, dass Personal- und Materialkosten, die durch Trassengebühren zu decken sind, massiv gestiegen sind. Hinzu kommt der Druck des Bundesfinanzministeriums, die so genannte „Obergrenze der Gesamtkosten“ (OGK) anders als in den Jahren zuvor auch voll auszureizen, einfacher formuliert: Wirklich alles, was an Gebühren erhoben werden kann, auch vom Markt zu fordern.
Das BMF begründet dies mit der vorgesehenen (aber noch nicht beschlossenen) Möglichkeit durch die Novelle des Bundesschienenwegeausbaugesetzes (BSWAG), nach der künftig auch Aufwand gefördert werden dürfte. Dadurch würde Druck aus der Bilanz genommen und so der künftige Trassenpreisauftrieb gedämpft.
Verschiebung der Bahnsteigkosten von den Stations- zu den Trassenpreisen
In der Folge des so genannten „WESTbahn“-Urteils des EuGH von 2019 sind die Kosten des Bahnsteigs statt wie bisher in Rahmen der Stations- künftig als Teil der Trassenpreise zu behandeln. Ca. 270 Mio. Euro würden so verschoben. Was auf dem ersten Blick aufkommensneutral zu sein scheint, ist es beim zweiten Hinsehen nicht:
Zum einen hat der SPFV deutlich weniger Halte als der SPNV, und der Schienengüterverkehr gar keine. Beide würden jetzt aber an den Bahnsteigkosten auf demselben Niveau des Nahverkehrs beteiligt.
Zum anderen lässt das deutsche Eisenbahnregulierungsrecht zwar eine dauerhafte Kostenunterdeckung beim Stationsbetreiber zu, nicht aber beim Betreiber der Schienenwege. Dieser muss seine Kosten vollständig decken (§ 31 Abs. 2 ERegG). Nur ausnahmsweise darf er davon abweichen. Dies bedeutet eine weitere Zusatzbelastung von ca. 115 Mio. Euro.
Ungleiche Aufteilung des Zielerlöses – fatale Wirkung der Trassenpreisbremse im SPNV
Auf das Gesamtniveau der kalkulierten Trassenpreiseinnahmen der DB Netz aus dem Fahrplanjahr 2024 in Höhe von ca. 6,04 Milliarden Euro addieren sich nun zusätzlich 382 Millionen Euro (gut 6 %). Diese werden aber nicht einfach zu den einzelnen bestehenden Preisen hinzugerechnet.
Aufgrund der „Trassen- und Stationspreisbremse“ des § 37 Abs. 2 ERegG dürfen die Trassenpreise im SPNV nur so stark steigen, wie es gleichzeitig die Regionalisierungsmittel tun, die der Bund den Ländern zur Bestellung des SPNV zur Verfügung stellt.[1] Da der letzte Beschluss der Bundesnetzagentur für das Trassenpreissystem 2024 bereits eine Preissteigerung um 3 % im SPNV genehmigt hatte, obwohl zwischenzeitlich die Trassenpreisbremse bis einschließlich 2025 erneut auf den früheren Wert von 1,8 % gesetzt worden war, geht die Beschlusskammer der Bundesnetzagentur derzeit davon aus, dass die Trassenpreise im SPNV im Jahr 2025 nur um 0,6 % steigen dürfen. Das bedeutet aber im Umkehrschluss, dass SPFV und SGV, die zusammen nur ein Drittel der Trassenkilometer auf dem Netz der DB ausmachen, den Löwenanteil der jetzt anstehenden Teuerung schultern müssen.
Überkomplexe Trassenpreisfindung muss dringend reformiert werden
Allein schon diese kaum verständlich zu schildernde Komplexität zeigt mehr als deutlich, dass sich der Gesetzgeber mit dem derzeitigen System der Trassenpreisfindung in eine Sackgasse manövriert hat. Der Zweck der Eisenbahnregulierung, nämlich mehr Verkehr auf der Schiene anzureizen[2], wird völlig verfehlt, wenn dem Betreiber der Schienenwege die Einnahmen quasi garantiert werden, egal wie mangelhaft seine Leistung ist.
Für 2025 ist die Bundesnetzagentur aufgefordert, von der Ausnahmeregelung des § 31 Abs. 2 ERegG Gebrauch zu machen und eine Kostenunterdeckung bei der InfraGO als Betreiber der Schienenwege zu tolerieren. Für die Folgejahre muss das ganze System vollständig überarbeitet werden.[3]
[1] Dabei werden die Mittel zum Ausgleich der Mindereinnahmen aus dem Deutschlandticket nicht betrachtet.
[2] ERegG § 3.
[3] Wie dies aussehen kann, hat mofair vor zwei Jahren dargestellt: https://mofair.de/wp-content/uploads/2022/03/220302-Trassenpreissenkung.pdf.