Plattitüden-Potpourri in AG 4

Verhandlungsergebnisse zur Schiene geprägt von Formelkompromissen und Reformscheu

Berlin (26. März 2025):

Große Erwartungen der Eisenbahnbranche knüpften sich an die Koalitionsverhandlungen in der Verkehrspolitik. Gestern die Ernüchterung: Zwar sind so gut wie alle relevanten Themen adressiert, nur: Es findet sich kaum eine klare Aussage. Und wenn es mal konkret wird, ist es oft nicht gut, etwa bei der Wiederetablierung separater Finanzierungskreisläufe für Straße und Schiene.

Insgesamt entsteht der Eindruck, dass die künftigen Koalitionäre einfach die Aussagen ihrer Wahlprogramme genommen und ein KI-Tool damit gefüttert haben.

mofair-Präsident Martin Becker-Rethmann:

„Unsere Befürchtungen scheinen sich zu bewahrheiten: Die VerhandlerInnen schaffen es trotz der gewaltigen Finanzspritze nicht, eine Vision für das Bahnsystem der kommenden vier Jahre zu entwickeln, geschweige denn darüber hinaus.

Dabei liegen die Herausforderungen für alle offen zutage: miserabler Infrastrukturzustand, Ineffizienz bei den Prozessen des DB-Konzerns, verschleppte Digitalisierung und Elektrifizierung, explodierende Trassenpreise, drohende Abbestellwelle im Nahverkehr, keine Vorstellungen für bessere Strukturen im Nahverkehr, unklare Zukunft des Deutschlandtickets.

Was bisher an Verhandlungsergebnissen vorliegt, kann es nicht gewesen sein: Die Partei- und Fraktionsspitzen müssen hier nachsitzen und nachschärfen. Noch ist es nicht zu spät.“

Seit dem 13. März hatten über 250 Verhandlerinnen und Verhandler aus den Unionsparteien und der SPD in 16 Arbeitsgruppen zusammengesessen, um die Grundlagen für die Regierungsarbeit der XXI. Legislaturperiode auszuhandeln. Die vorherige Grundsatzeinigung nach den Sondierungen beider Parteien über ein Sondervermögen von bis zu 500 Milliarden Euro war eine Steilvorlage. Nicht mehr völlig eingezwängt von fiskalisch bestimmten Denkverboten konnte man sich an eine Strategie zur Grundsanierung der Infrastruktur, für ein Voranbringen des Klimaschutzes und eine Innovationsoffensive machen.

Die Ergebnisse der auch für Verkehr zuständigen Arbeitsgruppe 4[1] sickerten gestern durch. Die VerhandlerInnen haben indes die sich ihnen bietenden Chancen ungenützt verstreichen lassen. Einige Beispiele der Entschlusslosigkeit:

 

… wollen wir mittelfristig eine grundlegende Bahnreform umsetzen […]. Hierzu sind sowohl personelle, rechtliche als auch organisatorische Maßnahmen zu ergreifen[2] (sic!)

Sätze, an Banalität kaum zu überbieten: Wann soll eine „grundlegende“ Bahnreform stattfinden? Nach einem Projekt für die gestern begonnene Legislaturperiode klingt das nicht. Was genau soll eine Reform beinhalten? Die Koalitionäre wollen „die InFrago vom DB-Konzern weiter entflechten innerhalb des integrierten Konzerns“ – wie soll das geschehen? Zumal der „Fortbestand des BEAV [Beherrschungs- und Ergebnisabführungsvertrag] zwischen DB-Konzern und InFrago“ lediglich „geprüft[3] werden soll.[4]

Offenbar haben die VerhandlerInnen aus den Möglichkeiten des Sondervermögens nur eine Lektion mitgenommen:

„Wir müssen nichts ändern. Wir nehmen es in Kauf, dass Generalsanierungen mindestens dreimal so teuer werden wie geplant. Es ist in Ordnung, dass wir auch weiterhin nicht wissen, was mit den Steuermilliarden im Konzern eigentlich genau passiert.“

 

„Investitionen in das deutsche Schienennetz werden gesteigert“ […] („Eisenbahninfrastrukturfonds“)“[5]

Das erste Bekenntnis findet sich in so ziemlich allen Koalitionsverträgen der vergangenen Jahrzehnte. Es kann alles oder nichts bedeuten. Und eine „Steigerung“ der Investitionen hat es ja seit den frühen Zehnerjahren gegeben. Sie hat uns aber nicht vor dem Infrastrukturzustand bewahrt, wie wir ihn jetzt sehen. Der (oder die?) „Eisenbahninfrastrukturfonds“ in Klammern lässt alles offen. Will man die Empfehlungen der Beschleunigungskommission Schiene nach zwei Fonds (Aus- und Neubau sowie Netzerhalt) aufgreifen? Oder ist etwas anderes gemeint?

 

Das Trassenpreissystem reformieren wir.[6]

Prüfen, wie die Trassenpreise gesenkt werden könnten, wollte auch der vorhergehende Koalitionsvertrag. Nur passiert ist nichts. Stattdessen begab man sich, um formal die Schulden-bremse einzuhalten, auf den fatalen Irrweg einer Schieneninfrastrukturfinanzierung über Eigenkapitalerhöhungen bei der InFrago. In der Folge explodierten die Trassenpreise, mit Steigerungen um ca. 20 % innerhalb eines Jahres 2025 für die eigenwirtschaftlichen Verkehre. 2026 droht es noch schlimmer zu werden. Trotz dieser dramatischen Lage können sich Union und SPD nicht einmal explizit darauf verständigen, wieder zur Infrastrukturfinanzierung über Baukostenzuschüsse zurückzukehren.

 

…die fahrzeugseitige Ausstattung haben wir im Blick[7] (sic!)

Fast schon kabarettreif ist diese Formulierung über die (Nicht-)Finanzierung von On-Board-Units bei der Umstellung auf den europäischen Leit- und Sicherungstechnikstandard ETCS. Der Streit, ob der Bund sich an der OBU-Förderung beteiligt, wird seit zwei Legislaturperioden geführt und nun offensichtlich sogar per Koalitionsvertrag auf Dauer gestellt. Die anderen „Festlegungen“ zum Thema sind ähnlich haarsträubend: Die Chancen einer weiteren Digitalisierung der Schiene, darunter digitales Kapazitätsmanagement und vollautomatischer Zugbetrieb, wurden von den VerhandlerInnen offenbar nicht einmal ansatzweise erkannt.

 

Es ließen sich noch viele weitere Beispiele finden, aus denen eine gefährliche Mischung aus Entschlusslosigkeit und vielfach auch Unkenntnis sprechen.

 

Siehe dazu auch:

[1] Ausgewiesene VerkehrsexpertInnen waren in dieser Gruppe kaum vertreten. Geprägt war sie von WohnungsbaupolitikerInnen.

[2] Zeilen 169-171.

[3] Zeile 173-174.

[4] Da war der Ampel-Koalitionsvertrag deutlich weiter. Die Festlegung, dass die „Gewinne aus dem Betrieb der neuen Infrastrukturgesellschaft [InFrago] in der Gesellschaft verbleiben sollten“ war eindeutig als ein Ende des Ergebnisabführungsvertrags zu verstehen – nur umgesetzt wurde dieses nicht. Wie es dazu kam, kann man gut in diesem Bericht des Bundesrechnungshofs nachlesen.

[5] Zeilen 125-128.

[6] Zeile 176.

[7] Zeile 134.

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Dr. Matthias Stoffregen

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