Schlechtleistungen der DB Netz – wirtschaftliche Folgeschäden begrenzen

mofair fordert Reduktion der Trassenentgelte auf 80 %

Berlin (13. Juni 2022):

Die Pünktlichkeit im Eisenbahnverkehr hat seit dem vierten Quartal 2021 neue Niedrigststände erreicht. Der Zustand der über Jahrzehnte hinweg kaputtgesparten Infrastruktur ist streckenweise katastrophal. Dort, wo saniert wird, wird es immer erst einmal schlimmer, ehe es besser werden kann.

Das derzeitige Management der bundeseigenen Infrastrukturgesellschaften ist für diese Rahmenbedingungen nicht verantwortlich. Es gibt aber außerdem auch viele hausgemachte Probleme: Mangelnde Koordination verschiedener Baumaßnahmen, fehlende Absprachen zwischen den Regionalbereichen der DB Netz, fehlende Ersatzteile, ständige Verletzung der (selbst gesetzten) Fristen der DB Netz, nicht besetzte Stellwerke und viele andere mehr.

Ein Umsteuern wurde seitens des DB-Konzerns oft angekündigt, Projekte und Strategien wurden mit viel Pomp präsentiert, später stillschweigend nicht weiterverfolgt und Mittel für die die Digitalisierung der Prozesse zusammengestrichen.

mofair-Präsident Tobias Heinemann: „Deutsche Bahn AG und Verkehrsminister Volker Wissing wollen in den kommenden Tagen eine neue Strategie zur Netzmodernisierung ankündigen. Wir hoffen sehr, dass sie dieses Mal erfolgreich ist. Angesichts der massiven wirtschaftlichen Folgen, die schlechte Infrastruktur für die Nutzer des Netzes haben, wäre es hochanständig, wenn die DB Netz bis auf weiteres einseitig auf pauschal 20 % der Trasseneinnahmen verzichten würde. Wenn das Dach undicht ist, müsste ein Wohnungsmieter auch nicht die volle Miete zahlen.“

Ein solcher Abschlag, so Heinemann weiter, „wäre eine Entlastung des Sektors und eine Investition in seine Zukunftsfähigkeit. Erst wenn die Grundsatzentscheidungen zur gemeinwohlorientierten Infrastrukturgesellschaft getroffen worden sind und sich erste positive Effekte einstellen, sollten wieder die regulären Gebühren fällig werden. Perspektivisch halten wir im Einklang mit dem Koalitionsvertrag an der Einführung des Grenzkostenprinzips fest.“

Verspätungen oder gar Zugausfälle sind immer misslich: Für die Betroffenen sowieso; und für die Glaubwürdigkeit der Branche, bei der Abmilderung des Klimawandels Teil der Lösung und nicht ein weiteres Problem zu sein, sind sie derzeit besonders verheerend. In Zeiten des 9-Euro-Tickets, da die Aufmerksamkeit besonders auf die Leistungsfähigkeit des Systems Schiene gelenkt wird, gilt dies umso mehr.

Wie eng es derzeit ist und wie bescheiden die Baustellenkoordination ist, wird deutlich, wenn an einem Wochenende alle Strecken von Berlin an die Ostsee gesperrt sind, oder wenn ein mit ukrainischem Getreide(!) beladener Güterzug in Bad Schandau an der tschechischen Grenze für drei Wochen strandet, weil für ihn aufgrund der vielen Baustellen keine Umleitungsroute gefunden werden konnte.[1]

Der Bundesgerichtshof hat im Februar 2021 festgestellt, dass die DB Netz für die wirtschaftlichen Folgeschäden aus schlechter Infrastruktur haften, in welcher Höhe, müssen die Gerichte noch entscheiden.[2] Die wirtschaftlichen Folgen sind erheblich:

  • Im Schienenpersonennahverkehr werden die Leistungsentgelte gekürzt, die die Aufgabenträger an die Verkehrsunternehmen zahlen, wenn eine gewisse Pünktlichkeitsschwelle nicht erreicht wird. Dabei ist es egal, ob das Verkehrsunternehmen die Ursache für die Verspätung beeinflussen kann oder nicht.
  • Im eigenwirtschaftlichen Fern- und Güterverkehr sorgen ständige Verspätungen schlicht für weniger Einnahmen: Fahrgäste bleiben weg, Verlader im Güterverkehr weichen nolens volens doch wieder auf den LKW aus.

Über lange Jahre hatte die DB in ihren offiziellen Statements die Auswirkungen von Baustellen, schlecht gemanagten allzumal, heruntergespielt. Im aktuellen „Infrastrukturzustands- und -entwicklungsbericht“, den die DB jährlich vorlegen muss, übernimmt die DB Netz nur bei knapp 10 % der Verspätungen die Verantwortung. Der Rest, so insinuiert der Bericht völlig irreführend, werde durch andere Faktoren verursacht,[3] allen voran durch die Kunden des Netzes, also die Eisenbahnverkehrsunternehmen, und durch Extremwettereignisse wie Schnee und Sturm.

In einer Pressekonferenz am 30. Mai 2022 räumte DB-Vorstandsvorsitzender Dr. Richard Lutz erstmals in bemerkenswerter Offenheit ein: „Die Qualität des Bahnbetriebs wird zu 80 % über die Infrastruktur entschieden.“ Dies deckt sich mit den Eindrücken der Eisenbahnverkehrsunternehmen. Die gewaltige Grauzone zwischen 10 % und 80 % erklärt sich unter anderem wie folgt:

  • Zugfolgeverspätungen entstehen meist durch Infrastrukturprobleme: Staut sich der Verkehr beispielsweise an einer eingleisigen Stelle, wird nur die Verspätung des ersten Zuges auf „Baustelle“ kodiert. Alle im „Stau“ stehenden Züge werden aber auf „Zugfolge“ kodiert. Die Infrastruktur- bzw. Baustellenprobleme, die die eigentliche Ursache auch für deren Verspätung sind, verschwinden im neutralen Nebel.
  • Für schlechte Pünktlichkeit macht die DB AG gern unvorhergesehene Ereignisse wie Stürme oder Wintereinbrüche verantwortlich. Zwar ist richtig, dass Extremwettereignisse künftig vermehrt auftreten werden. Richtig ist aber auch, dass die Schieneninfrastruktur in der Vergangenheit mit Sturm und Winter viel besser klargekommen ist – weil mehr Mittel und Kapazitäten für Weichenheizungen, Schneeräumung oder für den Grünschnitt entlang der Strecke vorgehalten wurden.
  • Für eine „verspätete Bereitstellung des Zuges“ scheint eindeutig das Eisenbahnverkehrsunternehmen zuständig. Aber so ist es oft nicht. Hat der Zug aus einem vorhergehenden Umlauf eine infrastrukturbedingte Verspätung, ist er zu spät für die neue Zugfahrt am Abgangsbahnhof. In diesem Fall wird die Verantwortung durch die DB Netz nicht nur „neutralisiert“, sondern sogar dem Eisenbahnverkehrsunternehmen aufgehalst.

[1] Der SPIEGEL 23/2022, https://www.spiegel.de/politik/deutschland/gueterverkehr-in-deutschland-vor-dem-kollaps-express-bis-zur-baustelle-a-27361984-8e47-41d6-aad1-8cf492ed6d89.

[2] Der BGH hat ferner festgestellt, dass es sich bei den Infrastrukturnutzungsverträgen der DB Netz um atypische Mietverträge handelt. Insofern wäre ein pauschaler Abschlag auf den regulären Trassenpreis analog eine Mietminderung.

[3] Siehe den aktuellen IZB vom Mai 2022. Dort heißt es allen Ernstes: „Die DB Netz AG verantwortet im Berichtsjahr 2021 lediglich ca. 9,3 % der gesamten cVmin. Den Hauptanteil mit ca. 56,6 % verbuchen die EVU-Verspätungsursachen (z. B. Zugvorbereitung und Einsatzplanung), gefolgt von übrigen Verspätungsursachen (z. B. Extremwetterereignisse und Zugfolge) mit ca. 34,1 % der angefallenen cVmin.“, https://www.eba.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/Finanzierung/IZB/IZB_2021.pdf;jsessionid=8E8E3210A3E95E8ED76DFC34823B82AC.live21321?__blob=publicationFile&v=2, S. 159. (cVmin=Verspätungsminuten).

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Dr. Matthias Stoffregen

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