Wie SPNV-Wettbewerb nicht funktionieren kann: Expresskreuz Bremen/Niedersachsen

Einseitige Ausschreibungsbedingungen führen zu Monopolpreisen

Berlin (6. Juli 2023):

Für das „Expresskreuz Bremen“ (RE 1 Hannover <> Norddeich Mole; RE 8 Bremerhaven-Lehe <> Hannover und RE 9 Osnabrück <> Bremerhaven Lehe) hat die federführende Landesnahverkehrsgesellschaft Niedersachsen (LNVG) nur vermeintlich einen neuen Betreiber gefunden. Denn es ist der alte, nämlich die DB Regio, die mit neuen Fahrzeugen aus dem landeseigenen Fahrzeugpool ab Dezember 2024 knapp 6,4 Mio. Zugkilometer pro Jahr fahren wird.

Bedenklich ist, dass nur ein einziges Unternehmen ein Angebot abgegeben hat und damit bezuschlagt werden musste. Vermutlich wurde hier nicht der aus Steuerzahlersicht optimale Preis erzielt.

mofair-Geschäftsführer Matthias Stoffregen: „Auch Wettbewerbsbahnen haben sich für dieses Netz interessiert. Aber innerhalb von weniger als zweieinhalb Jahren die benötigten gut 120 TriebfahrzeugführerInnen am Start zu haben, ist für einen Neubetreiber schlicht nicht möglich. Das kann nur der bisherige Betreiber DB Regio. Mit der Monopolrendite gewinnt das Unternehmen nun auch einen Startvorteil in anderen Vergaben.“

In ihrer Presseveröffentlichung[1] lobt die LNVG die erwarteten Komfortverbesserungen aus Sicht der Fahrgäste und schreibt viel über die Vorzüge der neuen, über den Landesfahrzeugpool beschafften, Fahrzeuge.

Beredtes Schweigen herrscht indes zu den finanziellen Aspekten. Der Sinn wettbewerblicher Vergaben von gemeinwirtschaftlichen SPNV-Leistungen ist nicht zuletzt, einen wirtschaftlichen Umgang mit Steuergeldern sicherzustellen. In Zeiten knapper Regionalisierungsmittel umso mehr.

Zwar räumt die LNVG ein, dass letztlich nur ein einziges Eisenbahnverkehrsunternehmen – nämlich die DB Regio – ein Angebot abgegeben hat. Die LNVG-Geschäftsführerin spekuliert, ursprünglich ebenfalls interessierte Unternehmen hätten „offenbar von ihren ausländischen Konzernmüttern keine Erlaubnis bekommen [..], bei diesem sehr komplexen Netz am Ende auch wirklich mitzubieten.“ Das ist falsch: mofair-Mitglieder sind immer bereit und in der Lage, ein Angebot abzugeben – vorausgesetzt, die Bedingungen sind fair und diskriminierungsfrei.

Der ehemalige Bundespräsident Gustav Heinemann sagte einmal: „Wer mit dem Zeigefinger“ auf andere zeige, „sollte daran denken, dass in der Hand mit dem ausgestreckten Zeigefinger zugleich drei andere Finger auf ihn selbst zurückweisen.“ Die LNVG muss sich also fragen lassen, ob sie nicht bereits in den Ausschreibungsbedingungen die Grundlage dafür geschaffen hatte, dass sich am Ende nur die vom deutschen Steuerzahler gestützte DB Regio durchsetzen konnte.

Wesentlicher Grund dafür ist die extrem kurze Zeit zwischen Bezuschlagung (Juli 2023) und geplanter Aufnahme der ersten Betriebsstufe (Dezember 2024). Innerhalb von 17 Monaten müssen 40 TriebfahrzeugführerInnen ausgebildet werden. Für die zweite Betriebsstufe ein Jahr später müssen es dann insgesamt 120 sein, was in nur zwölf weiteren Monaten nicht zu schaffen ist. Nochmals wesentlich erschwert wird diese Herausforderung durch die verspätete Lieferung der Fahrzeuge an den Fahrzeugpool des Landes Niedersachsen. Der resultierende Mischbetrieb – teilweise neue, teilweise Bestandsfahrzeuge – macht es für Neubetreiber erst recht unmöglich: Zum einen haben sie keine passenden Gebrauchtfahrzeuge – die hat nur der bisherige Betreiber, zum anderen wird der Ausbildungsaufwand nochmals größer, denn es müssten Kenntnisse für verschiedene Fahrzeuge geschult werden.

Die Personalknappheit ist inzwischen eine der größten Herausforderungen für Bieter in SPNV-Vergabeverfahren: Wenige Bewerber sowie hohe Abbrecher- und Durchfallquoten machen die notwendige Ausbildung von TriebfahrzeugführerInnen für die Eisenbahnverkehrsunternehmen extrem kostspielig und vor allem zeitaufwändig.

Hinzu kommt, dass Neubetreiber dem Fahrpersonal des Altbetreibers zwar ein Übernahmeangebot machen müssen, dass sie aber mit maximal 20 % wechselnden Personalen vom Altbetreiber rechnen dürfen, eher mit weniger. Daher hat der Altbetreiber DB Regio einen erheblichen Vorteil gegenüber potenziellen Neubetreibern.

Um diesen auszugleichen, hätte die LNVG entweder die Vorlaufzeit zwischen Vergabeentscheidung und Betriebsaufnahme länger fassen müssen, so wie es bei anderen Ausschreibungen Usus ist und sie es auch selbst getan hat. Oder sie hätte in Verhandlungen mit allen Bietern regeln können, dass alle Bieter mit der Ausbildung beginnen, sich aber verpflichten, ihre Ausgebildeten nach Bezuschlagung dem endgültigen Betreiber gegen Entschädigung für die entstandenen Aufwände zu überlassen. Solche Modelle werden erfolgreich in Nordrhein-Westfalen und Sachsen praktiziert. Weder das eine noch das andere hat die LNVG getan.

Zukünftig braucht es – auch in Niedersachsen – innovative Vergaben, mit denen ein stärkerer Fokus auf Qualitätsansprüche gelegt werden kann. Denn diese sind notwendig für die so dringend benötigte Verkehrswende und mehr Klimaschutz.

 

[1] https://www.lnvg.de/lnvg/pressemitteilungen/artikel/db-regio-gewinnt-wichtiges-expresskreuz-bremen-niedersachsen.

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Dr. Matthias Stoffregen

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