Entscheidung der Vergabekammer Sachsen-Anhalt zur Vergabe des Elektronetzes Nord ist rechtsfehlerhaft

Die Vergabekammer beim Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt in Halle hat am 11.05.2012 den Nachprüfungsantrag der NBE Regio GmbH gegen die Direktvergabe des Elektronetzes Nord an die DB Regio aus formalen Gründen zurückgewiesen.

Die Vergabekammer ist der Auffassung, dass der Nachprüfungsantrag auch gegen die übrigen Auftraggeber, die Nahverkehrsgesellschaft Niedersachsen, den Zweckverband Großraum Braunschweig und das Land Brandenburg hätte gerichtet werden müssen. Das habe die Antragstellerin zwar getan, aber verspätet.

Dass ein Nachprüfungsantrag gegen alle Auftraggeber gestellt werden müsse, begründet die Vergabekammer nicht mit entsprechenden gesetzlichen Regelungen oder Gerichtsentscheidungen, sondern ausschließlich mit ihrer „kammerseitigen Überzeugung“.

Dabei missachtet die Vergabekammer, dass nur Sachsen-Anhalt den Abschluss eines Vertrages im Amtsblatt der EU bekannt gemacht hat. Die übrigen Auftraggeber haben keinen Vertragsabschluss bekannt gemacht. In der Bekanntmachung des Landes Sachsen Anhalt findet sich zwar ein Hinweis auf die übrigen Auftraggeber. Ob und wann diese den Verkehrsvertrag unterschrieben haben, ob der Vertrag für alle Auftraggeber den gleichen Inhalt hat, ob die Bekanntmachung des Landes Sachsen-Anhalt auch für diese Auftraggeber gelten soll oder ob diese ein eigenes Vergabeverfahren durchgeführt haben, ist der Bekanntmachung des Landes Sachsen-Anhalt nicht zu entnehmen.

Die Vergabekammer missachtet ferner, dass die Aufgabenträger den Vertrag an unterschiedlichen Tagen unterschrieben haben. Außerdem vermag die Vergabekammer nicht zu begründen, warum nach ihrer Auffassung unterschiedliche Ausschlussfristen für das Land Sachsen-Anhalt und die übrigen Auftraggeber gelten sollen, wo es doch nur eine Bekanntmachung vom 30.12.2011 gibt. Für den Vertrag mit Sachsen-Anhalt gilt der 30.12.2011, für die übrigen soll es der 30.01.2012 sein.

Die Vergabekammer missachtet auch, dass der Vertrag mit Sachen-Anhalt einen anderen Inhalt hat als der Vertrag mit den übrigen Auftraggebern. Das Land Sachsen-Anhalt hat nämlich am 30.11.2012 eine Zusatzvereinbarung mit DB Regio getroffen. Diese Zusatzvereinbarung ist von den anderen Auftraggebern bis heute nicht genehmigt worden. Sie ist diesen gegenüber deswegen auch nicht wirksam. Unterschiedliche Verträge erfordern auf jeden Fall eine eigene Bekanntmachung des Vertrages durch den betreffenden Auftraggeber, für den der Vertrag gilt.

Die Vergabekammer kümmert auch nicht, dass ihre kammerseitige Auffassung, ein Nachprüfungsantrag müsse gegen alle Auftraggeber gerichtet werden, auch wenn diese keine Bekanntmachung vorgenommen haben, dem Europarecht widerspricht. Auch bei einer Mehrheit von Auftraggebern kanneine Bekanntmachung über die Auftragsvergabe die Ausschlussfrist für die Einleitung eines Nachprüfungsverfahren nur zugunsten des Auftraggebers in Gang setzen, der diese Bekanntmachung veröffentlicht hat; für die anderen an der Auftraggebermehrheit beteiligten Auftraggeber wirkt die Bekanntmachung dagegen nicht.

Nicht zuletzt hat die Vergabekammer durch zeitliche Verzögerung des Verfahrens selbst dafür gesorgt, dass sie die Erweiterung des Nachprüfungsantrages auf alle Auftraggeber aus ihrer Sicht als verspätetzurückweisen konnte.

Obwohl der Nachprüfungsantrag am 30.12.2011 bei der Vergabekammer eingegangen ist, hat dieVergabekammer erst am 02.02.2012 – also fast sechs Wochen später – entschieden, die mit dem Nachprüfungsantrag beantragte Akteneinsicht in den Verkehrsvertrag zu gewähren. Der Vertrag ist beider Antragstellerin am 10.02.2012 eingegangen. Die Antragstellerin hat daraufhin am 10.02.2012 den Nachprüfungsantrag auf alle Auftraggeber erweitert. Dies hat die Vergabekammer als verspätet gerügt.

Die Erweiterung hätte nach Auffassung der Vergabekammer vor dem 30.01.2012 erfolgen müssen. Zu diesem Zeitpunkt lag der Verkehrsvertrag wegen Verschuldens der Vergabekammer der Antragstellerin aber nicht vor.

Damit hat die Vergabekammer den Grund für die Zurückweisung des Nachprüfungsantrages selbst geschaffen. Hätte sie als Herrin des Verfahrens, den Beschluss über die Akteneinsicht unverzüglich, das heißt ohne schuldhafte Verzögerung zu Beginn des Vergabeverfahrens gefasst, so wie es ihre Pflicht gewesen wäre, hätte sie den Nachprüfungsantrag nicht als verspätet verwerfen können.

Mit der Verwerfung des Nachprüfungsantrages hat sich die Vergabekammer über das Europarecht, das Vergaberecht und über die in Rechtsprechung und Literatur einhellig vertretene Auffassung hinweggesetzt, wonach die Ausschlussfrist erst ab dem Tag läuft, an dem ein Antragsteller positivKenntnis von dem Vertragsabschluss erhält. Dass die Nahverkehrsgesellschaft Niedersachsen, das Landes Brandenburg und der Zweckverband Großraum Braunschweig einen Vertrag abgeschlossen haben, erfuhr die NBE Rail GmbH durch Einsicht in den Verkehrsvertrag am 10.02.2012. Die Erweiterung des Nachprüfungsantrages auf diese Auftraggeber vom selben Tage, war damit auf jeden Fall fristgerecht.

Mit Berufung einzig auf ihre kammerseitige Überzeugung hat die Vergabekammer die Grenze überschritten, die zwischen den Zuständigkeiten des Gesetzgebers und denen der Nachprüfungsinstanzen bestehen. Dieses Vorgehen ist rechts- und verfassungswidrig. Ob darin auch eine vorsätzliche Rechtsbeugung liegt, wird noch zu klären sein.

PDF-Version der Pressemitteilung (PDF, 49 KB)
Fragen an die Vergabekammer Sachsen-Anhalt (PDF, 57 KB)
Zeitlicher Verlauf des Nachprüfungsverfahrens (PDF, 41 KB)

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Dr. Matthias Stoffregen

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