Mehr Fernverkehr ist möglich – durch Wettbewerb! Teil A: „Deutschland im Takt“ – Das Fernverkehrskonzept der Deutschen Bahn AG und seine Tücken

  1. Rückzug DB Fernverkehr aus der Fläche

Seit der Bahnreform ist der Fernverkehr dem Grunde nach eigenwirtschaftlich, muss also seine Kosten durch Fahrgeldeinnahmen decken und erhält keine öffentlichen Zuschüsse. Wie umfangreich das Fernverkehrsangebot ist und welche sonstigen Qualitäten es hat, liegt allein in der Hand der Verkehrsunternehmen. Zu mehr als 99 % wird der Fernverkehr von DB Fernverkehr geleistet.

Seit der Bahnreform wurde die Bedienung der Fläche im Fernverkehr sukzessive deutlich ausgedünnt, während sie auf den Hauptstrecken stabil blieb und zum Teil ausgebaut wurde. Bis 2002 fielen die Fahrgastzahlen z.T. drastisch, seitdem steigen sie leicht an. 2006 gab es durch die Streichung der letzten Interregiolinien einen weiteren erheblichen Rückzug aus der Fläche. Diese Linien waren nicht Kosten deckend zu betreiben. Um das Verkehrsbedürfnis dennoch zu befriedigen, waren die Aufgabenträger genötigt, langlaufende Nahverkehrslinien auszuschreiben und zu bestellen. Die DB Fernverkehr – und damit indirekt der Bund selbst – hatte sich einer Aufgabe entledigt und sie den Ländern aufgebürdet. Dieses war nur möglich, weil es eben keine klare inhaltliche Definition gibt, was Fernverkehr ist und was Nahverkehr.

 

  1. Unterschätzter Fernbus

Durch den Zwang zur Eigenwirtschaftlichkeit und den Vollkostenansatz bei den Trassen- und Stationspreisen erscheinen die Fahrpreise im Fernverkehr schon traditionell als ausgesprochen hoch und gegenüber dem Auto oder gar dem Flugzeug kaum konkurrenzfähig. Leider ist es nicht gelungen, in der öffentlichen Wahrnehmung bewusst zu machen, dass der nominelle Grundpreis nur von einer Minderheit der Kunden überhaupt gezahlt wird – die anderen haben eine BahnCard, nutzen Sparpreise oder andere Rabattangebote.

In diesem Umfeld konnten sich die ab dem 1.1.2013 liberalisierten Fernbusangebote in rasender Schnelligkeit ausbreiten und vor allem bei einem preis-, aber weniger fahrtzeitsensitiven Publikum Erfolge feiern. Der Umsatz im DB-Fernverkehr geriet unter Druck.

 

  1. DB-Fernverkehrsoffensive „Deutschland im Takt“

Im Frühjahr 2015 stellte DB Fernverkehr ihre Initiative „Deutschland im Takt“ vor, die über einen bis zum Jahr 2030 gestreckten Zeitraum eine erhebliche Ausweitung der Fernverkehrserschließung mittelgroßer Städte vorsieht. Praktisch jede deutsche Stadt mit über 100.000 Einwohnern würde demnach wieder einen mindestens zweistündigen IC-Halt bekommen. Im Wesentlichen orientiert sich das neue Netz am ehemaligen IR-Netz.

Das Echo war nur verhalten positiv: Der lange Einführungszeitraum, unter anderem mit der schwierigen Beschaffung zeitgemäßen Rollmaterials begründet, trübte bei vielen die Freude. Aber bei vielen politisch Verantwortlichen in den Regionen kam die Ankündigung, dass etwa die Kreishauptstadt wieder Fernverkehrshalt werden könnte, gut an.

 

  1. Einwerben von Regionalisierungsmitteln zur Finanzierung des Konzepts

Die Finanzierung bleibt aber unklar. Die DB gab eine Antwort, indem sie versuchte, zumindest einen Teil der benötigten Mittel in Form von Regionalisierungsmitteln von den Ländern bzw. den Aufgabenträgerorganisationen zu erhalten. Diese sollen sagen, was ihnen mehr Fernverkehr in ihrer Region wert ist.

Das ist nicht ohne Vorbild: Bereits jetzt gibt es in verschiedenen Regionen Deutschlands, mindestens 17, eine Anerkennung von Regional- oder Verbundtarifen in Zügen des Fernverkehrs, in der Regel von IC/EC. Z.T. erfolgt diese direkt, gelegentlich auch gegen Kauf eines Aufpreistickets. Bekanntestes Beispiel ist die Nahverkehrstarifanerkennung des Niedersachsentarifs bzw. des VBN-Tarifs zwischen Bremen und Norddeich Mole (bzw. Augustfehn) im IC. Dieser fährt dort – nicht im Wettbewerb vergeben – im Zweistundentakt. In der jeweils anderen Stunde fährt der im Wettbewerb vergebene Regionalexpress.

Seit dem Frühjahr 2015 hat es eine Reihe weiterer konkreter Projekte gegeben, um die nicht zulässige Quersubventionierung doch möglich zu machen. Im Lager der Aufgabenträgerorganisationen ist diese Vermischung durchaus umstritten. Es gibt keine einheitliche Position.

  • Stuttgart-Nürnberg: Hier gab es erheblichen Druck, eine rechtlich nicht zulässige kombinierte Ausschreibung von Fernverkehrs- und Nahverkehrsleistungen zu machen. Dieses Vorhaben wurde jedoch gestoppt.
  • Stuttgart – Singen (Gäubahn): Auf die Ankündigung der DB, die Verbindung Stuttgart-Zürich künftig nicht mehr im Fernverkehr bedienen zu wollen, gab es ein Einlenken des Landes Baden-Württemberg, die Fernverkehrsstrecke mit Regionalisierungsmitteln zu stärken.
  • Gera-Gotha: Nach wie vor sollen Intercity-Züge einzelne Regionalzüge ersetzen, voraussichtlich ab 2018. Eine Ausschreibung bereitet die Landesnahverkehrsgesellschaft Thüringen derzeit vor.

Diese kombinierten Ausschreibungen sind sehr bedenklich, weil in der Regel nur die Deutsche Bahn überhaupt passendes Wagenmaterial hat, um Fernverkehrszüge anbieten zu können. Die NE-Bahnen könnten an einer solchen Ausschreibung nicht teilnehmen.

Besonders „originell“ sind Verfahren wie das des NWL (Nahverkehr Westfalen-Lippe) für die Mitte-Deutschland-Verbindung: Hier sollen nun hier keine Ausgleiche pro Zugkm gezahlt werden, was eindeutig rechtswidrig wäre. Stattdessen soll pro Tarifkm für Anerkennung des Nahverkehrstarifs im Fernverkehr zwischen Hamm und Warburg ein Ausgleich gezahlt werden. Diese würde nach einem abgespeckten Vergabeverfahren erfolgen, da ja nur die Deutsche Bahn einen Fernverkehr auf der Strecke anbietet. Einen ähnlichen Fall gibt es bereits zwischen Dresden und Riesa.

 

  1. Mehr Fernverkehr? Gern, aber nicht auf Kosten des Wettbewerbs und der Wettbewerbsbahnen!

Auf dem ersten Blick ist es nicht abwegig, dass DB Fernverkehr für mehr Leistung, die den Aufgabenträgern zu Einsparungen verhilft, einen gewissen Ausgleich erhält. Es sei aber nochmals daran erinnert, dass Fernverkehr eigenwirtschaftlich zu betreiben ist und keine Mittel der öffentlichen Hand dafür zu gewähren sind. Wenn also durch Mittel der Länder (Regionalisierungsmittel) der in Verantwortung des Bundes stehende Fernverkehr (Artikel 87e Abs. (4) GG i.V. mit Art. 106 GG) quersubventioniert wird, wäre das nicht zulässig.

Eine solche Quersubventionierung schädigt die Wettbewerbsbahnen im Regionalverkehr in mehrfacher Hinsicht:

a) Bei Nettoverkehrsverträgen wird ein paralleles Fernverkehrsangebot tendenziell zu einer Schwächung der Fahrgastnachfrage im Regionalverkehr führen. Wie groß diese sein wird, hängt von den konkreten Umständen ab (Fahrtzeit, Haltekonzeption, konkrete Ausgestaltung der Tarifanerkennung). Weniger Fahrgäste heißen aber für den Betreiber im Regionalverkehr unmittelbar kassenwirksam weniger Fahrgeldeinnahmen. Mit diesen hat er jedoch bei Legung des Angebots gerechnet und auch legitimer Weise rechnen dürfen.

b) In Bruttoverträgen tritt ein ähnlicher Effekt ein, wenn auch indirekt: In der Regel enthalten die Verkehrsverträge eine Anreizkomponente, nach der die Betreiber mehr Leistungsentgelt erhalten, wenn es ihnen gelingt, die Fahrgastzahlen in Bezug auf einen Referenzwert zu steigern. Bei einem Konkurrenzangebot des Fernverkehrs auf den einschlägigen Strecken aber wird dies sehr schwierig bis unmöglich. Wenn dieser Effekt sicher auch geringer ist als der unter a), zahlen aber die Aufgabenträger die andere Hälfte: Neben den Ausgleichen für die Tarifanerkennung, die sie DB Fernverkehr direkt zahlen, übernehmen sie außerdem noch ein höheres Einnahmenausfallrisiko im Regionalverkehr, als sie es selbst geplant haben.

c) Schließlich ist es der explizite Sinn von Fernverkehr in der Fläche, langlaufende RE-Linien eher wieder durch Fernverkehr zu substituieren. Dies führt aber dazu, dass der Verkehrsleistungs-„Kuchen“, der im Wettbewerb vergeben werden kann, tendenziell kleiner wird. Aufgrund der hohen Remanenzkosten werden die Aufgabenträger nicht alle vermeintlich einzusparenden Kosten bei Minderbestellung tatsächlich einsparen können. Vor allem aber können die Wettbewerbsbahnen (und in diesem Fall wäre DB Regio als Bahnunternehmen genauso betroffen) weniger Leistung am Markt absetzen.

 

  1. Mangelnde Verlässlichkeit

Für die Wettbewerbsbahnen ist klar, dass sie diese Entwicklung nicht wollen. Aber auch die Aufgabenträger sind aufgefordert, sich ehrlich Rechenschaft darüber abzulegen, ob die vermeintlich zu erreichenden Einsparungen sich für sie tatsächlich so realisieren.

Vor allem muss ihnen klar sein, dass diese Kopplung mit dem Fernverkehr im derzeitigen Regelungsregime keine dauerhafte Verlässlichkeit bietet. Das Fernverkehrsangebot kann beim nächsten Fahrplanwechsel wieder gestrichen werden, und der Aufgabenträger wäre gezwungen, das wegfallende Verkehrsangebot zu kompensieren, dann wahrscheinlich zu für ihn sehr unwirtschaftlichen Konditionen. Auch Qualitätssteuerung ist bei den Angeboten des Fernverkehrs für den Aufgabenträger nicht möglich.

 

  1. Halbierung der Trassenpreise?

Ein wesentliches Problem des eigenwirtschaftlichen Fernverkehrs sind die in den vergangenen Jahren deutlich gestiegenen Trassen- und Stationspreise. Anders als der Regionalverkehr hat der Fernverkehr keinen regionalen Aufgabenträger, an den er die die Kosten weiterreichen kann; er muss sie vielmehr selbst tragen.

Nun hat aber die Bahnbranche als Ganzes ein Interesse daran, dass System insgesamt (also Personennah-, Personenfern- und auch den Güterverkehr) gegenüber der Straße und dem Luftverkehr attraktiver zu machen.

Für den Regionalverkehr hat das Eisenbahnregulierungsgesetz die Trassen- und Stationspreisbremse gebracht, d.h. künftig werden die Steigerung der Trassen- und Stationspreise an die Dynamisierung der Regionalisierungsmittel geknüpft (1,8 % p.a.). Unter der Voraussetzung, dass angesichts der Steigerung der Regionalisierungsmittel insgesamt Mehrbestellungen im Regionalverkehr erfolgen, würde sich die Belastung des Fern- und Güterverkehrs durch Infrastrukturkosten nicht weiter erhöhen.

Besser für die Gesamtbranche wäre es allerdings, wenn die Infrastrukturentgelte insgesamt sinken würden, weil dann die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber dem Straßenverkehr steigen würde. Ein Weg dahin wäre es, wenn für die Kalkulation der Trassenpreise künftig das Grenzkostenprinzip angesetzt werden würde, was europarechtlich zulässig ist. Die allermeisten europäischen Staaten gehen auch so vor. Das hieße, dass nur noch die durch den unmittelbaren Betrieb auf der Schiene ausgelösten Kosten von den Verkehrsunternehmen zu tragen wären („unmittelbare Kosten des Zugbetriebs“, UKZ).

Investitionsmaßnahmen, Neubau etc. sollten durch den Bund direkt an den Bauherrn (idR DB Netz) als verlorene Zuschüsse fließen und nicht mehr den Umweg als Teil der Regionalisierungsmittel über die Aufgabenträger nehmen. Dieser heutige Umweg kompliziert das Verfahren nur, bietet aber keinerlei zusätzliche Steuerungsmöglichkeiten.

Allerdings muss auf jeden Fall vermieden werden, dass sich der Fernverkehr, der auf einen Schlag deutlich preisgünstiger produzieren könnte als bisher, nun weiter nach den oben aufgezeigten Mitteln auf Kosten des Regionalverkehrs bereichert und das bisher sorgsam austarierte Gleichgewicht durcheinanderbringt. Denkbar wäre auch, dass künftig angesichts sehr niedriger Trassenpreise neue Anbieter auch eigenwirtschaftlichen Regionalverkehr anbieten und die verkehrsvertraglich abgesicherten, gemeinwirtschaftlichen Angebote kannibalisieren.

Hierzu macht mofair e.V. in einem weiteren Positionspapier konkrete Vorschläge (Teil B).

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Dr. Matthias Stoffregen

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