Stellungnahme zum Erwerb der Arriva plc. durch die Deutsche Bahn AG: Wettbewerbsrechtliche Bedenken

Mofair richtete am 9. Juni 2010 eine Stellungnahme an die EU-Kommission, um auf erhebliche wettbewerbsrechtliche Bedenken gegen den geplanten Kauf von Arriva durch die Deutsche Bahn AG hinzuweisen. Das Schreiben im Wortlaut:

Sehr geehrter Herr Vizepräsident Almunia,

mofair e.V. ist der deutsche Verband wettbewerblicher Verkehrsunternehmen, der sich für die Beschleunigung der Marktöffnung auf Schiene und Straße und für die Sicherung eines diskriminierungsfreien Infrastrukturzugangs im Eisenbahnverkehr einsetzt. Ziel von Mofair e.V. ist zudem die Sicherstellung eines qualitativ hochwertigen Verkehrsmarktes unter fairen Rahmenbedingungen, damit sich öffentliche Mobilität zu einem Wachstumsmarkt mit zukunftssicheren Arbeitsplätzen entwickeln kann. mofair e.V. vertritt die Interessen der größten in Deutschland im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) tätigen wettbewerblichen Verkehrsunternehmen. Einzelheiten sind auf der Homepage des Verbandes unter www.mofair.de zu erfahren.

Die Presse hat über den geplanten Erwerb der Arriva plc. („Arriva“) durch die Deutsche Bahn AG („DB AG“) berichtet. Da mofair e.V. davon ausgeht, dass diese Übernahme bei der Europäischen Kommission auf Basis der Verordnung (EG) Nr. 139/2004 („Fusionskontrollverordnung“) zur Zusammenschlusskontrolle angemeldet wird und möglicherweise schon erste Gespräche in diesem Zusammenhang geführt werden, nimmt mofair e.V. hiermit die Gelegenheit wahr, eine erste Stellungnahme zu dem geplanten Erwerb und seine schwerwiegenden Auswirkungen auf den Wettbewerb in deutschen Beförderungsmärkten abzugeben.

mofair e.V. geht davon aus, dass die geplante Übernahme der Arriva durch die DB AG die marktbeherrschende Stellung der DB AG in den verschiedenen deutschen Beförderungsmärkten weiter verstärken und damit äußerst nachteilige Auswirkungen auf den Wettbewerb haben wird. Insbesondere im Schienenpersonennahverkehr wird der Zusammenschluss den Wettbewerb praktisch eliminieren. Aber auch auf dem deutschen Busmarkt sind Arriva und DB AG in starker Stellung tätig, so dass auch dort der Wettbewerb durch die geplante Übernahme stark geschwächt und durch Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung erheblich behindert würde. Aus diesen Gründen erwartet mofair e.V., dass der Erwerb gemäß Art. 2 Abs. 3 der Fusionskontrollverordnung für unvereinbar mit dem Gemeinsamen Markt zu erklären ist.

Im Folgenden wird verdeutlich, wie sich die marktbeherrschende Stellung der DB AG auf den verschiedenen, vom geplanten Zusammenschluss betroffenen Märkten verstärkt
• im Schienenpersonenverkehr (unter I.),
• in der Busbeförderung (unter II.) und
• im Bereich der Wartungs- und Modernisierungsarbeiten (unter III.).

I. Schienenpersonenverkehrsmärkte

1. Marktdefinition

Der relevante Produktmarkt insoweit kann als Markt für den Schienenpersonenverkehr definiert werden (COMP/M. 2446 GOIVA/Connex South Central, para.13). Nach Ansicht der Kommission stellen andere Transportmittel wie insbesondere PKW und Busse kein Substitutprodukt für Schienenpersonenverkehr dar (COMP/M. 2446 GOIVA/CONNEX SOUTH CENTRAL, PARA.13; IV/M. 816 CGEA/ SOUTH EASTERN TRAIN COMPANY LIMITED, PARA. 13). Auch das deutsche Bundeskartellamt und der Bundesgerichtshof (BGH) differenzieren zwischen einem straßengebundenen und einem schienengebundenen Verkehrsmarkt (BGH, 07.02.2006, KVR 5/05 – üstra; Bundeskartellamt, 09.06.2004, B9-16/04 – ÖPNV Saarland; BGH 11.07.2006, KVR 28/05 – ÖPNV Saarland). Die verschiedenen Leistungen decken unterschiedliche Bedürfnisse der Nachfrage ab. Da Busverkehre ein stärker verzweigtes Netz von Halten anbieten können, nutzen Fahrgäste den Bus vor allem für kurze Transporte in städtischen Ballungsräumen. In ländlichen Gegenden können Busverkehre hingegen die Schienenverkehre in der Regel nicht ersetzen, da letztere größere Geschwindigkeiten erreichen und größere Entfernungen deutlich schneller bewältigen können. Schienengebundene und straßengebundene Beförderungsleistungen sind zudem auch Gegenstand verschiedener rechtlicher Regime, nämlich einerseits des allgemeinen Eisenbahngesetzes (AEG) und andererseits des Personenbeförderungsgesetzes (PBefG).
Der Bundesgerichtshof wiederum differenziert zwischen

• dem „Aufgabenträgermarkt“, der alle Beförderungsdienstleistungen auf der Schiene umfasst und in dem die zuständigen Behörden, die sog. „Aufgabenträger“, langfristige Verträge für bestimmte Linien ausschreiben,

• und dem nachgelagerten Fahrgastmarkt, auf dem die Fahrgäste unmittelbar Beförderungsdienstleistungen von den verschiedenen Anbietern nachfragen (BGH 07.02.2006, KVR 5/05 – üstra).

Räumlich kann der Aufgabenträgermarkt mit dem Bundesgerichtshof als deutschlandweiter Markt definiert werden (BGH 07.02.2006, KVR 5/05 – üstra). Für den Fahrgastmarkt kann davon ausgegangen werden, dass sich dieser auf die einzelne Linie beschränkt (OLG Düsseldorf, 04.05.2005, VI-Kart 19/04 (V) – ÖPNV Saarland).

2. Stärkung der marktbeherrschenden Stellung der DB AG

Die DB AG-Tochter DB Regio hielt in 2008 nach Berechnungen der Wettbewerbs-Verbände einen Marktanteil gemessen in Personenkilometern in Höhe von mehr als 90 %. Nach ihren eigenen Berechnungen belief sich der Anteil der DB AG in 2009 an den von den Aufgabenträgern vergebenen Verkehren auf Basis von Zugkilometern auf 71 % . Diese hohen Marktanteile machen deutlich, dass die DB AG offensichtlich eine marktbeherrschende Stellung auf dem deutschen Ausschreibungsmarkt für Schienenpersonenverkehr und auf dem Markt für die Erbringung von Schienenpersonenverkehrsleistungen besitzt.

Der geplante Zusammenschluss wird den Wettbewerb auf diesen Märkten deutlich einschränken und damit zwangsläufig die marktbeherrschende Stellung der DB AG im Ausschreibungsmarkt – aber auch im Fahrgastmarkt – weiter stärken. Denn auch wenn eine große Anzahl von Eisenbahnverkehrsgesellschaften öffentlich registriert sind, gibt es praktisch nur einige wenige Wettbewerber, die in der Lage sind, der DB AG im deutschen Aufgabenträgermarkt ernsthaft Wettbewerb zu machen. Namentlich sind dies Abellio, Veolia, Arriva, BeNex und Keolis. Arriva ist dabei einer der wichtigsten Wettbewerber der DB AG. Beide Unternehmen nehmen in unmittelbarer Konkurrenz zueinander an bundesweiten Ausschreibungen teil. Arriva ist zudem ein Unternehmen mit starken finanziellen Kapazitäten und starkem Expansionsdrang. Im Falle eines Zusammenschlusses mit der DB AG würde daher ein ganz besonders starker Wettbewerber vom Markt verschwinden – einer der in den letzten Jahren stark gewachsen ist und von dem auch in Zukunft ein starkes Wachstum zu erwarten gewesen wäre. Denn Arriva ist nicht nur eines der führenden Verkehrsunternehmen auf den europäischen Märkten. Seit ihrem Markteintritt in 2004 ist die Arriva-Tochtergesellschaft Arriva Deutschland GmbH auch eines der größten privaten Eisenbahnverkehrsunternehmen in Deutschland. Sie generierte zuletzt etwa 30,2 Mio. Zugkilometer pro Jahr und verfolgt eine Geschäftspolitik der konsequenten Expansion. Ihren Markteintritt in Deutschland vollzog sie 2004 durch den Erwerb der privat gegründeten Prignitzer Eisenbahn GmbH sowie der Ostdeutschen Eisenbahn GmbH. Im gleichen Jahr erwarb sie die Regentalbahn AG, die zuvor ein Unternehmen des Freistaates Bayern war. 2005 erfolgte der Eintritt in den Busmarkt durch Erwerb des größten privaten Busunternehmens in Deutschland, die Autobus Sippel GmbH. In 2007 erwarb Arriva dann die Osthannoversche Eisenbahn AG einschließlich der Infrastruktur und erweiterte damit ihr Portfolio um die Bereiche Logistik und Infrastruktur. Durch den Erwerb der Arriva würde die DB AG damit auf einen Schlag die Kontrolle über die zahlreichen, von der Arriva erworbenen privaten bzw. vormals staatlichen Unternehmen erlangen und sich gleichzeitig eines Wettbewerbers mit besonders starkem Expansionsdrang entledigen.

II. Busbeförderungsmärkte

1. Marktdefinition

In bisherigen Entscheidungen hat die Kommission die Busbeförderung als einen von den Schienenbeförderungsmärkten abzugrenzenden Markt definiert (COMP/M. 2446 Govia/CONNEX South Central, para.13; COMP/M. 1768 Schoyen/Goldman Sachs/Swebus, para.11). Auch der Bundesgerichtshof grenzt einen eigenen Markt für den straßengebundenen öffentlichen Personennahverkehr ab, zu dem sämtliche eigen- und gemeinwirtschaftlichen Verkehrsleistungen im Sinne des Personenbeförderungsgesetzes gehören. Entsprechend dem Markt für Schienenpersonenverkehrsdienste unterscheidet der Bundesgerichtshof auch hier zwischen

• dem Aufgabenträgermarkt,
• und dem Fahrgastmarkt.

Räumlich grenzt der Bundesgerichtshof den Aufgabenträgermarkt, anders als im Schienenverkehr, als regionalen Markt ab (BGH, 07.02.2006, KVR 5/05 – üstra), denn in den Ausschreibungsverfahren setzen sich regelmäßig die regional etablierten Unternehmen durch. Dass einige Schienenverkehrsunternehmen auch Busdienstleistungen bundesweit anbieten, ändert nichts an der Tatsache, dass der Ausschreibungsmarkt im Buslinienverkehr von regionalen Zwängen charakterisiert wird, wie z. B. die spezielle geografische und regionale Infrastruktur, die erforderlich ist, um Busverkehre zu erbringen. Auch der Umstand, dass die DB AG 23 verschiedene Busdienstleister besitzt und mit einer Vielzahl kommunaler Unternehmen kooperiert, zeigt, wie regional zersplittert der Busmarkt ist.

2. Stärkung der marktbeherrschenden Stellung der DB AG

Durch den anvisierten Zusammenschluss wird die DB AG, weil sich die Marktaktivitäten beider Parteien überschneiden, weitere Marktanteile im Busverkehr in Deutschland hinzugewinnen und damit ihre marktbeherrschende Stellung weiter verstärken:

Die DB-AG-Tochter DB Regio besitzt nach mofair-Informationen ca. 23 Busgesellschaften, die mit etwa 12.000 Bussen in den verschiedenen Regionen Deutschlands tätig sind. Arriva wiederum verfügt über ihre Tochtergesellschaft Arriva Deutschland GmbH über 1.009 Busse und bietet auch regionale Busverkehrsleistungen innerhalb Deutschlands an. Durch den Zusammenschluss wird die DB AG damit insbesondere in die Lage versetzt, noch stärker als bisher schon potentielle Wettbewerber abzuschrecken und dadurch ihre marktbeherrschende Stellung zu verteidigen.

IIII. Wartungs- und Modernisierungsarbeiten

1. Marktdefinition

Basierend auf ihren Marktuntersuchungen hat die Kommission drei verschiedenen Produktmärkte in diesem Zusammenhang festgestellt (COMP/M. 5579 – TLP/ERMEWA, PARAS 750 ff.; COMP/M. 2139 – Bombardier/Adtranz, PARAS 16 und 26; COMP/M. 221 – ABB/BREL, PARA. 5):

• leichte Wartungsarbeiten einschließlich alltäglicher Reparaturen, Komponentenaustausch und regulärer Sicherheitsprüfungen,

• schwere Wartungsarbeiten, die größere Eingriffe beinhalten, wie etwa die Generalüberholung von Eisenbahnwagen und die in zentralen Werkstätten in unregelmäßigen Abständen ausgeführt werden, und zwar jeweils für eine Dauer von mehreren Tagen bis Wochen,

• Modernisierung von Eisenbahnwagen.

Leichte Wartungsarbeiten erfassen dabei einen geografischen Markt von ca. 200 km, während der Markt für schwere Wartungsarbeiten und Überarbeitungen einen Radius von ca. 1000 km um die entsprechende Werkstatt umfasst.

2. Stärkung der marktbeherrschenden Stellung der DB AG

Auch auf diesen Märkten würde der geplante Zusammenschluss zu einer signifikanten Verstärkung der ohnehin schon beherrschenden Stellung der Deutschen Bahn AG auf den verschiedenen Märken für Wartungs- und Reparaturarbeiten führen und ihre Marktstellung strukturell gegen Wettbewerber absichern. Denn die DB AG hat ein sehr großes und führendes Netzwerk von Instandhaltungswerkstätten innerhalb Deutschlands, die von ihrer Tochtergesellschaft DB Instandhaltung GmbH betrieben werden. Arriva wiederum unterhält sieben Instandhaltungswerkstätten in Deutschland und zwar in Neumark, Viechtach, Schwandorf, Celle, Uelzen, Bleckede und Neustrelitz. Sowohl die DB AG als auch Arriva erbringen schwere und leichte Wartungsarbeiten für ihre eigenen Fahrzeuge als auch für dritte Nachfrager.

IV. Schlussfolgerung

Die vorstehend beschriebenen wettbewerblichen Auswirkungen des Zusammenschlusses werden die Position der verbleibenden Wettbewerber in signifikantem Ausmaß schwächen. Dies betrifft nicht nur einen, sondern gleich mehrere Schlüsselmärkte, die für die Liberalisierung von straßengebundenen und schienengebundenen Beförderungsmärkten von großer Bedeutung sind. mofair e. V. steht deshalb auf dem Standpunkt, dass es erforderlich ist, den geplanten Zusammenschluss zu untersagen, um den verbleibenden lebensfähigen Wettbewerb in den relevanten Märkten zu stützen.

Gerne sind wir auch bereit unsere Argumente in einem persönlichen Gespräch mit Ihnen zu erläutern.

Mit freundlichen Grüßen

Wolfgang Meyer
Präsident mofair e.V.

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Dr. Matthias Stoffregen

Geschäftsführer mofair e. V.

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